Integrale Lebenspraxis – oder wie man ein erfülltes Leben führt
Unter Integrale Lebenspraxis (ILP) versteht man eine Reihe von Übungen, die regelmäßig angewandt, das Leben vollständiger machen, die im Grunde auch eine Form der Selbst-Fürsorge darstellen und die eine ausgewogene Entwicklung ermöglichen. Was ist mit „ausgewogener Entwicklung“ gemeint? Es bedeutet eine Entwicklung der Persönlichkeit, die alle Aspekte des Lebens umfassen: Körper, Seele, Geist und GEIST oder Spirit. Diese Form des „Cross-Trainings“ hat dann eine synergistische Wirkung auf den Praktizierenden.
Der „Erfinder“ der sogenannten Integralen Lebenspraxis ist zunächst einmal Ken Wilber und seine Integrale Theorie, die als Basis des Ansatzes dient. Mit anderen Autoren zusammen wurden Übungen, aber auch eine bestimmte Haltung zum Leben und die „Gebrauchsanleitung“ für ILP verfasst.[1]
Der Nutzen einer Integralen Lebenspraxis
Was man damit erreichen kann, hängt natürlich von den persönlichen Zielen ab. Man könnte sich wünschen körperlich fitter zu werden, bewusster zu leben, mehr aus dem Yoga-Training raus zu holen oder sich selber besser zu verstehen. ODER, man möchte all das zusammen erreichen, langsam, kontinuierlich und mit Unterstützung einer Gruppe. Statt also ein besonderes Wochenende mit einem tollen Training zu erleben (wogegen natürlich nichts spricht), erhält man durch ILP eine dauerhafte Verbesserung, die einen durch den Alltag trägt.
Kurz gesagt, indem man seine Erfahrungen erweitert und vertieft, ist eine innere Weiterentwicklung möglich. Durch die Übungen pflegt man sich selber auf allen Ebenen und sorgt damit gut für sich. Das bringt Lebensqualität.
Am Anfang sind Zustandsänderungen wichtig und hilfreich, z .B. in einer Meditation oder Atemübung. Durch das regelmäßige Üben können dann bleibende Veränderungen entstehen, d. h. wir entwickeln uns weiter, wir werden bewusster und können diese Bewusstheit auch für andere Lebensbereiche erhalten.
Der Aufbau einer Integralen Lebenspraxis
Hauptbestandteil einer ILP sind 4 Kern-Module für Körper, Geist, Spirit und Schattenarbeit (für die Seele).
Fangen wir mit letzterem an: Der Begriff Schatten bezieht sich auf die Anteile in unserer Seele, die wir abgespalten haben, ablehnen, verstecken oder auf andere projizieren – ganz unbewusst. Unbewusst meint, wir nehmen unseren Schatten nicht wahr, aber trotzdem hat er Auswirkungen, zeigt sich in unserem Verhalten oder lässt uns leiden. Schattenarbeit bedeutet also, sich durch Übungen diesen Anteilen in uns zu nähern und sie aufzulösen[2]. Das kann sich dann durchaus positiv auf alle anderen Bereiche (Körper Geist, Spirit) auswirken, vor allem bringt es uns Energie zurück. Während sich viele Menschen verteidigen, wenn sie in sich etwas wenig schmeichelhaftes entdecken oder darauf aufmerksam gemacht werden, erhalten ILP-Anwender eine entspannte Neugier und Interesse an sich selber – eben auch dort, wo es im Verhalten etwas „dunkler und schattiger“ ist.
Das Modul für den Geist, den Verstand (mind) hat zwei Dimensionen: Man übt sich darin, mehr Perspektiven einzunehmen und diese größere Komplexität auch gut zu organisieren. Das AQAL Modell (Integrale Theorie) hilft dabei und eine Übung könnte darin bestehen, in verschiedenen Situationen die Perspektive jedes Quadranten einzunehmen. Also, wie verstehe ich eine Gegebenheit aus dem Blickwinkel der Ich-Perspektive (innere Erfahrung), der Wir-Perspektive (Beziehungen), der Handlungen oder der Systeme und Strukturen. Auch hier geht es wieder um Offenheit und Verstehen anstatt das abzubügeln, was uns verunsichert oder das abzulehnen, was uns nicht klar ist. Der Geist soll reifen durch die Übungen des „mind-modules“.
Das Körper-Modul ist für drei Körper gedacht. Was ist damit gemeint? Wir alle kennen unseren physischen Körper, der grobe („gross“) Anteil, mit dem wir die Umwelt erleben, der auf bestimmte, oft messbare Art und Weise funktioniert. Wir können diesen Teil mit Krafttraining oder Gymnastik oder anderen Sportarten trainieren. Der subtile Teil von uns bezieht sich auf die Energien in uns. Hierzu haben z.B. alte indische oder chinesische Heilformen viele Erkenntnisse beizutragen. Entsprechend sind Yoga oder Tai Chi Übungsformen für den zweiten Körper-Teil. Der dritte Teil in uns wird kausal (ursächlich) genannt und bezieht sich auf die Stille in uns zu der man durch Meditieren Zugang finden kann. Tiefschlaf ist ein Zustand des kausalen Körpers, völlige innere Ruhe. Die integralen Körper Übungen helfen einem allen drei Dimensionen des Körpers Aufmerksamkeit zu schenken. Spezielle Übungen für den kausalen Körper berühren das nächste Modul, den Spirit oder GEIST.
Was soll hier unter Spirit verstanden werden? Das was von ultimativer Bedeutung ist, es ist die Essenz der Güte, des Schönen und Wahren. Ein reicher Schatz an Übungen, Lehren und Vorschriften findet sich in den Überlieferungen alter Weisheits-Traditionen. Heutzutage kommen neue Erkenntnisse oder Übersetzungen für die heutige Zeit dazu. Spiritualität kann für Menschen ein hilfreicher emotionaler oder geistiger Anker sein. Und obwohl die Übungen und Weisheiten aus den großen alten Religionen stammen, darf Spiritualität nicht mit Religion gleich gesetzt werden. Spirit ist für manche Menschen Gott, für andere das Selbst oder Bewusstsein. Manchmal ist auch Lebensenergie mit dem Wort gemeint oder eine Quelle der Liebe.
Mit den Übungen für diese vier Module trainiert man sich selber als Individuum; aber wir sind auch im Austausch mit der Umwelt, daher werde in der ILP zusätzliche Module und Übungen angeboten, z.B. für Elternschaft, das Arbeitsleben etc. Langfristig gesehen können die Übungen zu einem integralen Lebensstil führen, zu dem auch ethisches Handeln gehört. Es geht dabei darum, authentisch, ehrlich, fürsorglich und mutig zu sein.
Eigenschaften der Integralen Lebenspraxis
Basis der ILP ist das AQAL Modell von Wilber, darin werden die vielen Aspekte des Lebens, der Realität abgebildet. Somit ist ILP umfassend und unterstützt uns darin, alle Ebenen des menschlichen Seins bewusst anzunehmen und danach / damit zu leben.
Die Integrale Lebenspraxis ist modular aufgebaut und hilft dabei, Übungen nach dem persönlichen Geschmack zusammenzustellen. Außer den vier Basisübungen für Körper, Seele Geist und Spirit kommen noch einige zusätzliche Module dazu, aus denen man wählen kann, was gerade relevant im eigenen Leben ist.
Auch von der Menge und Intensität kann man maßgeschneidert arbeiten: Die Übungsangebote sind mal länger (1 Stunde z.B.), mal kürzer (1 Minute) und man kann das wählen, was einem am besten passt. Man kann es auch dem individuellen Lebensstil anpassen, indem man das Programm, das man für sich gewählt hat, ändert und neuen Umständen anpasst.
Die Übungen entstammen teilweise alten Traditionen, sind aber für das heutige Leben herunter gebrochen und quasi destilliert.
Die Übungen sind umfassend – eben integral – und wirken synergistisch.
Regelmäßige Anwendung
Zur Durchführung der Übungen – noch dazu regelmäßig – braucht es natürlich Disziplin. Aber hier kommen gleich zwei gute Nachrichten dazu: Zum einen unterscheide ich ‚westliche‘ und ‚östliche‘ Disziplin. Die westliche Form ist streng, preußisch und riecht nach Bestrafung. Die östliche Form ist eher menschlich, liebevoll, verzeihend. Das heißt, man startet eine Übung, macht vielleicht Fortschritte, vergisst dann wieder, dass man diese Übung dauerhaft durchziehen wollte. Und beim nächsten Gedanken daran fängt man einfach wieder an mit der Übung – ohne sich selber zu kasteien oder zu glauben „das wird nie was“. Die zweite gute Nachricht ist: Man kann diesen Prozess in einer Gruppe durchführen, dann unterstützt man sich gegenseitig. Man versteht die eigenen Erfahrungen besser, weil man sich hierzu mit anderen in der Gruppe austauschen kann und es macht natürlich auch mehr Spaß!
In Berlin startet in diesem Oktober die zweite Gruppe.
[1] Ken Wilber, Terry Patten, Adam Leonard, Marco Morelli : Integral Life Practice: A 21st-Century Blueprint for Physical Health, Emotional Balance, Mental Clarity, and Spiritual Awakening, Integral Books, 2008
Auf Deutsch: Integrale Lebenspraxis, Kösel-Verlag; 2010
2] Nach meiner Erfahrung ersetzt es keine Therapie, hilft aber im Alltag.
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