Von Verantwortung möchte ich die psychologische Seite aufzeigen. An anderen Stellen wird darüber aus ganz verschiedenen Perspektiven geschrieben: juristisch, philosophisch, in Bezug auf Politik oder Umweltschutz. Vor einigen Jahren habe ich eine Recherche zu dem Thema Verantwortung gemacht, die ich jetzt überarbeitet und gekürzt habe. Dabei war es mir wichtig, die „hellen und dunklen“ Seiten auszuleuchten, die Vorteile und die Schattenseiten des Themas Verantwortung.
Der Verantwortungsbegriff
Verantwortung ist ein Begriff der Alltagssprache. Das Wort „Antwort“ steckt mit drin, vielleicht, weil man auf eine Situation antwortet. Es bedeutet die Übernahme von Verpflichtungen, Rechenschaft ablegen und gegebenenfalls auch zur Verantwortung gezogen werden. Eine verantwortliche Person ist jemand, die den Willen zeigt, Konsequenzen des eigenen Verhaltens zu akzeptieren, und die Vertrauenswürdigkeit und Verlässlichkeit zeigt.
Verantwortung übernehmen geht häufig mit einer Pflichterfüllung einher. Eine Person ist dann verantwortlich etwas verursacht oder vernachlässigt zu haben. Das heißt, in seiner Grundform gehört zu dem Begriff Verantwortung die Zuschreibung von Handlungsfolgen zu einer Person, und die ist dann verantwortlich, etwas getan oder versäumt zu haben. Das ist mitunter mit der Frage nach dem Schuldigen verbunden. Auf der einen Seite wird Verantwortung zu übernehmen in der Gesellschaft positiv bewertet. Und gleichzeitig wird Verantwortungslosigkeit negativ gesehen, denn man schadet seiner Umgebung oder bringt Menschen in Gefahr. Wenn man aber Verantwortung übernimmt, kann man auch Schuld daran sein, dass etwas missglückt ist: ein ziemliches Dilemma.
In sozialpsychologischen Studien wird zu Verantwortung häufig Hilfeverhalten untersucht. Aber auch die Wahrnehmung und die Zuschreibung von Verantwortung sind wichtige Aspekte. Verantwortung wahrnehmen kann an ein Bedürfnis gekoppelt sein – der Realität Sinn geben oder genügend Gründe für eine Handlung schaffen. Ebenso ist es verbunden mit dem Bedürfnis, Kontrolle auszuüben, Einfluss zu nehmen auf das, was einem etwas bedeutet. Für die Bewertung und Zuschreibung von Verantwortung sind Können und Steuerungsmöglichkeiten wichtige Elemente.
Verantwortung als Merkmal der Persönlichkeit
Wie unterscheiden sich nun Menschen in der Übernahme von Verantwortung? Dazu möchte ich auf zwei Modelle eingehen, die sich nicht direkt mit Verantwortung befassen, die sich aber mit der Frage beschäftigen: Kann ich etwas in meiner Umwelt verändern, beeinflussen?
Der „locus of control“ meint die Erwartung, man könne Ereignisse steuern oder aber gar nicht beeinflussen. Wenn Personen erwarten, dass sie durch ihr eigenes Verhalten den Verlauf ihres Lebens bestimmen können, dann spricht man von Interner Kontrollerwartung. Sie haben Vertrauen in eigene Fähigkeiten und nutzen es für die kausale Erklärung von Umweltereignissen. Dagegen glauben Personen mit einer externen Kontrollerwartung, dass sie mit ihrem Verhalten die Ereignisse in ihrem Leben kaum beeinflussen können. Ereignisse werden entsprechend auf externe Ursachen in der Umwelt zurückgeführt: Zufall, Glück, äußere Mächte.
Wenn jemand glaubt, dass er die Erreichung seiner Ziele und die Veränderung von Umständen beeinflussen kann (internaler locus of control), dann sieht er sich eher verantwortlich für das, was ihm geschieht. Man besitzt eine Kontrollüberzeugung; darunter versteht man verallgemeinerte Erwartungen von Personen über ihre Fähigkeiten, etwas im ihrem Leben zu steuern.
Dem sehr ähnlich ist das sogenannte Origin-Pawn-Modell. Der Origin sieht sich selber als Verursacher. Pawn ist der Bauer beim Schachspiel, der Pawn sieht ursächliche Kräfte außerhalb seiner Person. Es geht also darum, wo die Verursachung eines Ergebnisses gesehen wird. Das Erleben persönlicher Verursachung hat motivierende Auswirkungen; die Vorstellung eigener Wirksamkeit, das Gefühl persönlicher Verursachung hat motivierende Kräfte.
Verantwortungsvolle Aufgaben und deren Bewältigung können so einen wichtigen Anstoß zur Persönlichkeitsentwicklung geben, da man etwas Neues in Angriff nimmt oder sich einer Herausforderung stellt. Die Übernahme von Verantwortung kann ein Teil einer Arbeitsaufgabe sein und damit kann sie als Annahme einer Herausforderung und als Leistung betrachtet werden.
Verantwortung hat also zwei Seiten, sie kann als Belastung oder als Element einer persönlichkeitsförderlichen Tätigkeit gesehen werden. Man kann die Übernahme von Verantwortung scheuen, weil man glaubt, keinen Einfluss auf Ereignisse zu besitzen. Man sieht Verantwortung als mögliche Quelle, schuldig gesprochen zu werden und vermeidet das. Andere Menschen übernehmen Verantwortung, sehen sich als Verursacher, also als jemand, der etwas bewirken kann. Dadurch ist man motiviert, Herausforderungen anzunehmen oder eigeninitiativ zu handeln.
Es gibt in der Forschung erste Ergebnisse, die zeigen, dass sich die Übernahme von Verantwortung bei Menschen im Laufe der Zeit erst entwickelt. Es braucht dann einige Entwicklungsschritte, bis man Selbstverantwortung erreicht, die Basis für eine Verpflichtung wird nun in sich selber gefunden, es ist eine verantwortungsvolle Unabhängigkeit.
Proaktivität
Das Zeigen von Initiative wird auch mit dem Begriff der Proaktivität bezeichnet. Proaktivität ist das Bestreben, die eigene Umwelt zu verändern, ohne dass man sich durch situative Einschränkungen bremsen lässt. Vielmehr sind proaktive Menschen in der Lage, Gelegenheiten zu identifizieren und entsprechend zu handeln. Sie zeigen Initiative und bleiben dabei, bis sie eine wesentliche Veränderung erreicht haben. Im Gegensatz dazu zeigen Menschen, die nicht proaktiv sind, gegenteiliges Verhalten. Ihnen gelingt es erst gar nicht, Gelegenheiten zu bemerken, durch die sie etwas verändern könnten. Proaktivität kann als ein der Person innewohnender Anlass gesehen werden, Verantwortung wahrzunehmen. Proaktivität wird als Motivation gesehen, Situationen zu gestalten und zu verändern.
Weitere Begriffe: Eigen- und Selbstverantwortung
Proaktivität liegt dicht an dem Konzept der Eigenverantwortung. Eigenverantwortung wird nicht als Verpflichtung gesehen, wie das klassischerweise beim Verantwortungsbegriff der Fall ist. Unter Eigenverantwortung versteht man die Initiative zum Handeln durch
eine Person, die ein Ziel erreichen oder eine Handlung ausführen möchte. Für die Situation gibt es keine festgelegte Reaktion, die Person mit Eigenverantwortung übernimmt proaktiv Verantwortung und lässt sich dabei von ihren eigenen Normen leiten. Selbstverantwortung ist die Verpflichtung gegenüber sich selber und dem eigenen Gewissen ist. Als Gewissen kann man das von einem Individuum als verbindlich angesehene System von Werten betrachten. Aus Werten und Normen entstehen eigene Standards, denen sich der Mensch verpflichtet fühlt. Typisch für Eigen- und Selbstverantwortung sind also die eigenen Normen einer Person und ihre Eigeninitiative, von der sie sich leiten lässt. Zur Eigen- und Selbstverantwortung gehört die Überzeugung, dass man etwas bewirken, dass man Einfluss nehmen kann.
Im Alltag oder auch in einigen Büchern wird nicht zwischen Eigen- und Selbstverantwortung unterschieden; da geht es eher um Pflicht erfüllen versus Eigeninitiative zeigen.
Zusammenfassung
Im Vorangegangenen wurde der Begriff Verantwortung mit einigen seiner vielen Aspekte vorgestellt. Typisch in beruflichen und auch Alltagssituationen sind zwei Aspekte von Verantwortung: die Pflichterfüllung und Belastung zum einen, sowie Gestaltungsmöglichkeiten und eine Entwicklungschance für die Persönlichkeit zum andern. Verantwortung ist an Schuldgefühle gekoppelt, da man bei Nichterfüllung einer Pflicht oder bei Fehlern zur Verantwortung gezogen werden kann. Man kann Fehler aber auch als Chance sehen, etwas Neues zu lernen!
Im Gegensatz zu Verantwortung liegen bei der Übernahme von Eigenverantwortung nicht so klare Vorschriften zur Pflichterfüllung vor. Die Person wird von sich aus initiativ und handelt trotz Ungewissheit. Proaktive Menschen nutzen die ihnen gegebenen Handlungsspielräume. Bei Eigenverantwortung wird der Handlungsspielraum noch zusätzlich ausgeweitet. Verantwortung und Eigenverantwortung können als Teile beruflicher Leistung betrachtet werden. Seitens der Person gehören Kontrollüberzeugung, persönliche Initiative und Leistungsmotivation dazu.
Selbstverantwortung wurde als die Verantwortung gegenüber einem selber und seinem Gewissen definiert. Man richtet sich also nach persönlichen, inneren Vorgaben, statt nach Vorgaben von Anderen. Dabei können die gleichen Merkmale wie bei Eigenverantwortung angenommen werden, nämlich dass Selbstverantwortung mit Handeln aus eigenem Antrieb und persönlicher Intention einher geht und dass sie selbstbestimmt ist.
Die Übernahme von Verantwortung kann also bedeuten, dass man sich verpflichtet (und auf Freiheit verzichtet), dass man Fehler macht und deswegen beschuldigt oder gar bestraft wird, kurzum, dass Verantwortung eine Belastung ist. Möglicherweise gelingt es manchen Menschen auch gar nicht, Gelegenheiten zu bemerken, durch die sie etwas verändern könnten.
Die Sonnenseite des Themas liegt darin, dass man bei der Übernahme von Verantwortung seinem Bedürfnis nach Steuerung (des eigenen Lebens) nachgeht, dass das als Leistung gesehen werden kann, mit innovativem Handeln einher geht, manchmal mit der Ausweitung des üblichen Handlungsspielraumes und langfristig inneres Wachstum ermöglicht.
Literatur:
- Blasi, A.: A developmental approach to resposibility training, Dissertation der Washington Universtity, Graduate School of Arts and Science, Saints Louis Missouri, 1971
- Crant, J.M.: The Proactive Personality Scale and Objective Job Performance Among Real Estate Agents, Journal of Applied Psychology, Vol. 80, No. 4,1995, S. 532-537
- Fengler, J. (Hrsg.): Gruppendynamik und Organisationsberatung, Themenheft Eigenverantwortung – berufliche Leistung und Anforderung, 36. Jhrg., Heft 2, Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden, 2005
- Friedman, H. S.; Schustack, M. W.: Persönlichkeitspsychologie und Differentielle Psychologie, München 2004
- Kaschube, J.: Eigenverantwortliches Handeln in Organisationen, Habilitationsschrift der Fakultät Psychologie und Pädagogik, LMU München, 2003
- Koch, S., Kaschube, J., Fisch, R. (Hrsg.): Eigenverantwortung für Unternehmen, Hogrefe, 2003
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